Der Begriff Burn-Out wird für ein breites Spektrum von Stresserkrankungen bis hin zu klinisch definierter Depression verwandt.
Da in den maßgeblichen internationalen Klassifikationssystemen die Diagnose Burn-Out an sich nicht existiert und genaue Fallzahlen daher nicht erhoben werden, ist es schwierig mit Sicherheit zu beurteilen, ob Burn-Out tatsächlich ein wachsendes Problem ist. Generell erscheint eine Vermengung von normalem beruflichem Stress, Depression und dem vagen Symptom Burn-Out jedoch wenig zielführend.
Es ist in deutschen Unternehmen noch immer üblich das Phänomen Burn-out offiziell als nicht existent anzusehen oder es nicht ernst zu nehmen. Bestenfalls herrscht nur eine generelle Skepsis bezüglich Burn-out, da die Diagnose psychischer Erkrankungen generell eher unscharf ist. Die Probleme der Mitarbeiter werden oft noch immer als Einzelfälle von psychisch labilen Personen abgetan oder das Phänomen insgesamt pauschal als Modekrankheit verunglimpft.
In einer anonymen Umfrage des Deutschen Führungskräfteverbands äußerten jedoch 76% der Befragten, dass die Häufigkeit beruflicher Burn-Outs in ihrem unmittelbaren Umfeld zugenommen habe. Eine Studie des wissenschaftlichen Instituts der AOK bestätigt diese Beobachtung: allein in den Jahren 2004 bis 2010 ist die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von Burn-Out in deutschen Unternehmen von 8,1 auf 72,3 (pro 1000 Versicherte) gestiegen. Mittlerweile zeigen die Statistiken der Krankenkassen deutlich, dass psychische Erkrankungen für einen stetig steigenden Anteil der beruflichen Fehltage verantwortlich sind. So ging im ersten Halbjahr des Jahres 2011 bereits jede siebte Krankschreibung auf Burn-Out / Depression zurück.
Auch wenn Burn-Out medizinisch nicht immer eindeutig greifbar ist, so stellt es aus Sicht vieler Arbeitnehmer gefühlt sehr wohl ein drängendes Problem dar. So führte die Deutsche Bank im Jahr 2010 eine Mitarbeiterbefragung durch, bei der viele Beschäftigte angaben am Rande ihrer psychischen Belastungsgrenze zu arbeiten. Die Mitarbeitervertreter beschlossen daher, dass Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz auf die Tagesordnung der Betriebsrätekonferenz der Bank im November 2010 zu setzen. Die Sorgen der Arbeitnehmer wurden in einem Vortrag zum Ausdruck gebracht. Der Personalvorstand Hermann-Josef Lamberti befand damals jedoch, dass die psychischen Belastungen in der Bank nicht groß seien und er daher keinen Handlungsbedarf sehe.*
Die Sensibilität für stressbedingte psychische Probleme ist in den letzten Jahren aber durchaus gewachsen. Seitdem sich beruflich erfolgreiche Menschen wie Starkoch Tim Mälzer und Skisprung-Olympiasieger Sven Hannawald öffentlich zu ihren psychischen Problemen bekannt haben, verliert Depression und Burn-Out langsam das Stigma nur die psychisch labilen Loser zu betreffen. [1]
Mit den Selbstmorden anerkannter Manager wie Pierre Wauthier (Zurich Versicherungen) und Carsten Schloter (Swisscom) ist das Phänomen Burn-Out spätestens seit September 2013 mit all seinen Symptomen wie Antriebsschwäche, Erschöpfungszustände bis hin zur klinischen Depression und dem teilweise folgenden Suizid offiziell auch in den Führungsetagen der Elite angekommen. [2]
Dabei tragen gemäß einer Studie des Instituts für angewandte Innovationsforschung an der Ruhr-Universität Bochum gar nicht die Manager an der Unternehmensspitze, sondern die Mittelmanager das größte Risiko. Es sind meist die Führungskräfte des mittleren Managements, die von psychischem Stress am stärksten betroffen sind. Sie werden durch die undankbare Doppelrolle (einerseits Druck von oben bekommen, andererseits gleichzeitig selbst Druck zur Restrukturierung, Optimierung, etc. an die eigenen Mitarbeiter weitergeben) psychisch am meisten belastet.
Allerdings wird die berufliche Situation auch von vielen durchschnittlichen Arbeitnehmern als sehr belastend empfunden. So gaben 52% der SAP-Mitarbeiter in einer internen Studie an, das Arbeitspensum und der Stress hätten sie "an die Grenze der Belastbarkeit getrieben". Beim Energieversorger E.ON sind gemäß interner Statistiken des Unternehmens seit dem Jahr 2008 insgesamt ca. 10% der Krankheitstage auf psychische Belastungen (Stresserkrankungen, Burn-Out und Depressionen) zurückzuführen.
Die Unternehmen haben verschlankt, flexibilisiert und outgesourct. Der individuelle Arbeitsplatz ist heute komplexer und tendenziell unsicherer geworden. In Betrieben, die seit Jahren permanent umgebaut, reorganisiert und verschlankt werden, steigt die psychische Belastung der Mitarbeiter stark an - insbesondere wenn Konzernumbau und Stellenkürzungen nicht den gewünschten Effizienzgewinn bringen und der Druck von oben zum Dauerzustand wird. Wenn inmitten der ständigen Reorganisation außerdem ein fundamental wichtiges Geschäftsfeld des Unternehmens wegbricht, nimmt die Sorge um den Arbeitsplatz und die Unsicherheit der Beschäftigten noch weiter zu.
Viele Unternehmen geben ihren Beschäftigten scheinbar immer mehr Freiheiten: Sie verzichten z.B. auf Stechuhren oder ortsgebundene Arbeitsplätze. Dies klingt zunächst nach mehr Freiheit, bringt für den einzelnen Arbeitnehmer aber gleichzeitig immer mehr Verantwortung mit sich. Jeder Arbeitnehmer muss täglich beweisen, dass er der Richtige für den Job ist und die gewünschte Leistung erbringt. Auch gut gemeinte Maßnahmen wie die von Volkswagen publicityträchtig eingeführte Blackberry-Sperre für tarifliche Mitarbeiter außerhalb regulärer Arbeitszeiten, können zusätzlichen Stress auslösen. Wenn das Arbeitspensum und die Anforderung insgesamt gleich bleiben, dann führt der Erhalt einer bestimmten Information zu einem späteren Zeitpunkt lediglich zu mehr Zeitdruck.
Auch durch Compliance-Vorgaben und Good-Governance-Regeln wird unternehmerische Verantwortung mittlerweile immer stärker auf die Arbeitnehmer übertragen. Zusätzlich hat der Mitarbeiter in der heutigen Arbeitswelt viele Regeln zum politisch korrekten Verhalten zu beachten. Dieses enge Korsett aus Verhaltensregeln wird von vielen Mitarbeitern als Stress empfunden. Nicht zuletzt, weil sie in der ständigen Angst leben, in dem komplexen Dickicht aus Regeln etwas zu übersehen und einen Fehler zu machen.
Vermeintlich fortschrittliche Unternehmenskonzepte sehen zudem eine zwanghafte Wohlfühl-Mentalität vor. Die heute übliche politisch korrekte Kommunikation des Unternehmens negiert oft die Existenz von Konflikten. Krisen oder Probleme gibt es nicht – höchstens „neue Herausforderungen“ denen sich der Arbeitnehmer hochmotiviert zuzuwenden hat. Der Mitarbeiter ist umgeben von Wohlfühl-Lügen, die eine heile Welt im Unternehmen suggerieren, obwohl sich hinter der Harmonie-Fassade Abgründe auftun. Die Probleme wirklich beim Namen zu nennen ist ein absolutes Tabu. Ein eventuell existierendes Vorschlagwesen hat meist lediglich Alibi-Funktion. Es geht nicht darum, wirklich zu erfahren was der Mitarbeiter denkt, sondern nur um die Erfüllung eines politisch korrekten Vorgehens.
Die Telekom macht aus dem theoretisch sinnvollen Werkzeug der Mitarbeiterbefragung gleich ein neues Terrorinstrument indem alle Beschäftigten im zweijährigen Rhythmus zu allgemeinen Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz und Muster psychischer Erkrankungen befragt werden. Die Commerzbank hat die beliebteste Alibi-Maßnahme der Burn-Out Prävention gewählt: sie bietet seit dem Jahr 2012 eine Hotline an, über die sich Mitarbeiter in schwierigen Berufs- und Lebenssituationen beraten lassen können. Auf diese Weise kann das Management bei Gelegenheit behaupten, man nehme das Problem ernst und sei um Lösungen bemüht. Dabei ist die Idee der outgesourcten Hotline bei näherer Betrachtung pervers, denn dies legt nahe, dass die Gründe für die Probleme der Mitarbeiter nicht im Unternehmen selbst zu suchen sind, sondern einzig aus der Unfähigkeit des einzelnen Mitarbeiters resultieren. Darüber hinaus erscheint fraglich, inwieweit der Mitarbeiter sicher sein kann, dass seine mitunter sehr privaten und vertraulichen Informationen anonym bleiben und tatsächlich nicht dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden.
Durch die konsequente Verneinung der Existenz der Probleme und Verdrängung von Seiten des Managements wird die tatsächliche Lösung der Probleme unmöglich. Die Mitarbeiter leben in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Unternehmensrealität und der vom Management und Public Relations vorgegebenen politisch korrekten Version davon. Das Schlimmste daran ist, dass es heute nicht mehr reicht einfach kritiklos den Anweisungen der Firmenleitung zu folgen. Der Mitarbeiter muss vielmehr Begeisterung für offensichtliche Fehlentscheidungen heucheln und die politisch korrekten Wohlfühl-Lügen des Unternehmens auch noch lieben. [3]
Dazu kommt, dass die heutige Leistungsgesellschaft zu einer Gesellschaft freiwilliger Selbstausbeutung geworden ist. Jeder ist angehalten, sich als Unternehmer seiner selbst zu begreifen und seine Leistung, aber auch sich selbst stets gut zu „verkaufen“. Die Selbstoptimierer der Angestelltenwelt haben die von Märkten und Aktionären gesetzten Ziele verinnerlicht und versuchen privat und im Job um jeden Preis mitzuhalten - als Treiber und Getriebene zugleich. Dabei sind auch im Privaten die Erwartungen gestiegen. Nur ein guter Manager zu sein reicht nicht mehr. Gleichzeitig müssen im Privatleben alle Anforderungen als Lebenspartner, ggf. Vater der Kinder, sowie Freund, etc. erfüllt werden.
Statt die Stressfaktoren der Mitarbeiter objektiv zu analysieren und echte Lösungen zu erarbeiten, gibt es von Seiten der Arbeitgeber meist nur inhaltsleere Seminare und bunte Aufklärungsbroschüren. Dabei machen die von einigen Unternehmen gut gemeinten Kurse zur „Work-Life-Balance“ den Stress für manchen Mitarbeiter nur noch größer. Da in diesen Seminaren oft nur die üblichen Mantren ohne den spirituellen Kontext gepredigt werden, wird die gefühlte Liste der zu beachtenden Regeln nur noch länger.
Ehrliche Bemühungen und echte Prävention im Bereich psychischer Erkrankungen sollten eigentlich im Interesse der Unternehmen liegen, denn die Behandlung von psychischen Erkrankungen dauert oft Monate und verursacht enorme Folgekosten. Während die Fehlzeiten am Arbeitsplatz bei anderen Erkrankungen im Schnitt bei ca. 13 Tagen pro Jahr liegen, dauert der Genesungsprozess bei psychischen Erkrankungen nach Kalkulation der Techniker Krankenkasse durchschnittlich fast 40 Tage. Das Statistische Bundesamt schätzt, dass sich die Gesamtkosten für psychische Erkrankungen (Behandlung, Produktionsausfall, Invalidität, etc.) auf 27 Milliarden Euro pro Jahr summieren.
Die Ursachen für Burn-Out sind vielfältig:
Stand: Juli 2014
* Tatsächlich hat das Finanzinstitut durchaus ein Burn-Out Problem: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/a-834827.html
[1] http://www.spiegel.de/panorama/leute/skisprung-olympiasieger-sven-hannawald-spricht-im-spiegel-ueber-burnout-a-921016.html
[2] http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/manager-suizide-psychologe-de-vries-ueber-zurich-fall-wauthier-a-920331.html
http://www.welt.de/wirtschaft/article119750051/Was-den-deutschen-Topmanager-in-den-Tod-trieb.html
Der Artikel beschreibt treffend, wie eine Gemengelage aus Druck und Makro-Management einen Menschen zermürben können. Unrühmliche Rolle von Consultants aus dem Hause McKinsey. Personalabbau ist nicht immer die Antwort. Es muss Luft zum atmen bleiben.
[3] http://www.zeit.de/karriere/beruf/2012-11/arbeitswelt-streitkultur
[4] http://www.wiwo.de/erfolg/beruf/technikprobleme-wir-koennen-so-nicht-arbeiten/10154488.html
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Da in den maßgeblichen internationalen Klassifikationssystemen die Diagnose Burn-Out an sich nicht existiert und genaue Fallzahlen daher nicht erhoben werden, ist es schwierig mit Sicherheit zu beurteilen, ob Burn-Out tatsächlich ein wachsendes Problem ist. Generell erscheint eine Vermengung von normalem beruflichem Stress, Depression und dem vagen Symptom Burn-Out jedoch wenig zielführend.
Es ist in deutschen Unternehmen noch immer üblich das Phänomen Burn-out offiziell als nicht existent anzusehen oder es nicht ernst zu nehmen. Bestenfalls herrscht nur eine generelle Skepsis bezüglich Burn-out, da die Diagnose psychischer Erkrankungen generell eher unscharf ist. Die Probleme der Mitarbeiter werden oft noch immer als Einzelfälle von psychisch labilen Personen abgetan oder das Phänomen insgesamt pauschal als Modekrankheit verunglimpft.
In einer anonymen Umfrage des Deutschen Führungskräfteverbands äußerten jedoch 76% der Befragten, dass die Häufigkeit beruflicher Burn-Outs in ihrem unmittelbaren Umfeld zugenommen habe. Eine Studie des wissenschaftlichen Instituts der AOK bestätigt diese Beobachtung: allein in den Jahren 2004 bis 2010 ist die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von Burn-Out in deutschen Unternehmen von 8,1 auf 72,3 (pro 1000 Versicherte) gestiegen. Mittlerweile zeigen die Statistiken der Krankenkassen deutlich, dass psychische Erkrankungen für einen stetig steigenden Anteil der beruflichen Fehltage verantwortlich sind. So ging im ersten Halbjahr des Jahres 2011 bereits jede siebte Krankschreibung auf Burn-Out / Depression zurück.
Auch wenn Burn-Out medizinisch nicht immer eindeutig greifbar ist, so stellt es aus Sicht vieler Arbeitnehmer gefühlt sehr wohl ein drängendes Problem dar. So führte die Deutsche Bank im Jahr 2010 eine Mitarbeiterbefragung durch, bei der viele Beschäftigte angaben am Rande ihrer psychischen Belastungsgrenze zu arbeiten. Die Mitarbeitervertreter beschlossen daher, dass Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz auf die Tagesordnung der Betriebsrätekonferenz der Bank im November 2010 zu setzen. Die Sorgen der Arbeitnehmer wurden in einem Vortrag zum Ausdruck gebracht. Der Personalvorstand Hermann-Josef Lamberti befand damals jedoch, dass die psychischen Belastungen in der Bank nicht groß seien und er daher keinen Handlungsbedarf sehe.*
Die Sensibilität für stressbedingte psychische Probleme ist in den letzten Jahren aber durchaus gewachsen. Seitdem sich beruflich erfolgreiche Menschen wie Starkoch Tim Mälzer und Skisprung-Olympiasieger Sven Hannawald öffentlich zu ihren psychischen Problemen bekannt haben, verliert Depression und Burn-Out langsam das Stigma nur die psychisch labilen Loser zu betreffen. [1]
Mit den Selbstmorden anerkannter Manager wie Pierre Wauthier (Zurich Versicherungen) und Carsten Schloter (Swisscom) ist das Phänomen Burn-Out spätestens seit September 2013 mit all seinen Symptomen wie Antriebsschwäche, Erschöpfungszustände bis hin zur klinischen Depression und dem teilweise folgenden Suizid offiziell auch in den Führungsetagen der Elite angekommen. [2]
Dabei tragen gemäß einer Studie des Instituts für angewandte Innovationsforschung an der Ruhr-Universität Bochum gar nicht die Manager an der Unternehmensspitze, sondern die Mittelmanager das größte Risiko. Es sind meist die Führungskräfte des mittleren Managements, die von psychischem Stress am stärksten betroffen sind. Sie werden durch die undankbare Doppelrolle (einerseits Druck von oben bekommen, andererseits gleichzeitig selbst Druck zur Restrukturierung, Optimierung, etc. an die eigenen Mitarbeiter weitergeben) psychisch am meisten belastet.
Allerdings wird die berufliche Situation auch von vielen durchschnittlichen Arbeitnehmern als sehr belastend empfunden. So gaben 52% der SAP-Mitarbeiter in einer internen Studie an, das Arbeitspensum und der Stress hätten sie "an die Grenze der Belastbarkeit getrieben". Beim Energieversorger E.ON sind gemäß interner Statistiken des Unternehmens seit dem Jahr 2008 insgesamt ca. 10% der Krankheitstage auf psychische Belastungen (Stresserkrankungen, Burn-Out und Depressionen) zurückzuführen.
Die Unternehmen haben verschlankt, flexibilisiert und outgesourct. Der individuelle Arbeitsplatz ist heute komplexer und tendenziell unsicherer geworden. In Betrieben, die seit Jahren permanent umgebaut, reorganisiert und verschlankt werden, steigt die psychische Belastung der Mitarbeiter stark an - insbesondere wenn Konzernumbau und Stellenkürzungen nicht den gewünschten Effizienzgewinn bringen und der Druck von oben zum Dauerzustand wird. Wenn inmitten der ständigen Reorganisation außerdem ein fundamental wichtiges Geschäftsfeld des Unternehmens wegbricht, nimmt die Sorge um den Arbeitsplatz und die Unsicherheit der Beschäftigten noch weiter zu.
Viele Unternehmen geben ihren Beschäftigten scheinbar immer mehr Freiheiten: Sie verzichten z.B. auf Stechuhren oder ortsgebundene Arbeitsplätze. Dies klingt zunächst nach mehr Freiheit, bringt für den einzelnen Arbeitnehmer aber gleichzeitig immer mehr Verantwortung mit sich. Jeder Arbeitnehmer muss täglich beweisen, dass er der Richtige für den Job ist und die gewünschte Leistung erbringt. Auch gut gemeinte Maßnahmen wie die von Volkswagen publicityträchtig eingeführte Blackberry-Sperre für tarifliche Mitarbeiter außerhalb regulärer Arbeitszeiten, können zusätzlichen Stress auslösen. Wenn das Arbeitspensum und die Anforderung insgesamt gleich bleiben, dann führt der Erhalt einer bestimmten Information zu einem späteren Zeitpunkt lediglich zu mehr Zeitdruck.
Auch durch Compliance-Vorgaben und Good-Governance-Regeln wird unternehmerische Verantwortung mittlerweile immer stärker auf die Arbeitnehmer übertragen. Zusätzlich hat der Mitarbeiter in der heutigen Arbeitswelt viele Regeln zum politisch korrekten Verhalten zu beachten. Dieses enge Korsett aus Verhaltensregeln wird von vielen Mitarbeitern als Stress empfunden. Nicht zuletzt, weil sie in der ständigen Angst leben, in dem komplexen Dickicht aus Regeln etwas zu übersehen und einen Fehler zu machen.
Vermeintlich fortschrittliche Unternehmenskonzepte sehen zudem eine zwanghafte Wohlfühl-Mentalität vor. Die heute übliche politisch korrekte Kommunikation des Unternehmens negiert oft die Existenz von Konflikten. Krisen oder Probleme gibt es nicht – höchstens „neue Herausforderungen“ denen sich der Arbeitnehmer hochmotiviert zuzuwenden hat. Der Mitarbeiter ist umgeben von Wohlfühl-Lügen, die eine heile Welt im Unternehmen suggerieren, obwohl sich hinter der Harmonie-Fassade Abgründe auftun. Die Probleme wirklich beim Namen zu nennen ist ein absolutes Tabu. Ein eventuell existierendes Vorschlagwesen hat meist lediglich Alibi-Funktion. Es geht nicht darum, wirklich zu erfahren was der Mitarbeiter denkt, sondern nur um die Erfüllung eines politisch korrekten Vorgehens.
Die Telekom macht aus dem theoretisch sinnvollen Werkzeug der Mitarbeiterbefragung gleich ein neues Terrorinstrument indem alle Beschäftigten im zweijährigen Rhythmus zu allgemeinen Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz und Muster psychischer Erkrankungen befragt werden. Die Commerzbank hat die beliebteste Alibi-Maßnahme der Burn-Out Prävention gewählt: sie bietet seit dem Jahr 2012 eine Hotline an, über die sich Mitarbeiter in schwierigen Berufs- und Lebenssituationen beraten lassen können. Auf diese Weise kann das Management bei Gelegenheit behaupten, man nehme das Problem ernst und sei um Lösungen bemüht. Dabei ist die Idee der outgesourcten Hotline bei näherer Betrachtung pervers, denn dies legt nahe, dass die Gründe für die Probleme der Mitarbeiter nicht im Unternehmen selbst zu suchen sind, sondern einzig aus der Unfähigkeit des einzelnen Mitarbeiters resultieren. Darüber hinaus erscheint fraglich, inwieweit der Mitarbeiter sicher sein kann, dass seine mitunter sehr privaten und vertraulichen Informationen anonym bleiben und tatsächlich nicht dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden.
Durch die konsequente Verneinung der Existenz der Probleme und Verdrängung von Seiten des Managements wird die tatsächliche Lösung der Probleme unmöglich. Die Mitarbeiter leben in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Unternehmensrealität und der vom Management und Public Relations vorgegebenen politisch korrekten Version davon. Das Schlimmste daran ist, dass es heute nicht mehr reicht einfach kritiklos den Anweisungen der Firmenleitung zu folgen. Der Mitarbeiter muss vielmehr Begeisterung für offensichtliche Fehlentscheidungen heucheln und die politisch korrekten Wohlfühl-Lügen des Unternehmens auch noch lieben. [3]
Dazu kommt, dass die heutige Leistungsgesellschaft zu einer Gesellschaft freiwilliger Selbstausbeutung geworden ist. Jeder ist angehalten, sich als Unternehmer seiner selbst zu begreifen und seine Leistung, aber auch sich selbst stets gut zu „verkaufen“. Die Selbstoptimierer der Angestelltenwelt haben die von Märkten und Aktionären gesetzten Ziele verinnerlicht und versuchen privat und im Job um jeden Preis mitzuhalten - als Treiber und Getriebene zugleich. Dabei sind auch im Privaten die Erwartungen gestiegen. Nur ein guter Manager zu sein reicht nicht mehr. Gleichzeitig müssen im Privatleben alle Anforderungen als Lebenspartner, ggf. Vater der Kinder, sowie Freund, etc. erfüllt werden.
Statt die Stressfaktoren der Mitarbeiter objektiv zu analysieren und echte Lösungen zu erarbeiten, gibt es von Seiten der Arbeitgeber meist nur inhaltsleere Seminare und bunte Aufklärungsbroschüren. Dabei machen die von einigen Unternehmen gut gemeinten Kurse zur „Work-Life-Balance“ den Stress für manchen Mitarbeiter nur noch größer. Da in diesen Seminaren oft nur die üblichen Mantren ohne den spirituellen Kontext gepredigt werden, wird die gefühlte Liste der zu beachtenden Regeln nur noch länger.
Ehrliche Bemühungen und echte Prävention im Bereich psychischer Erkrankungen sollten eigentlich im Interesse der Unternehmen liegen, denn die Behandlung von psychischen Erkrankungen dauert oft Monate und verursacht enorme Folgekosten. Während die Fehlzeiten am Arbeitsplatz bei anderen Erkrankungen im Schnitt bei ca. 13 Tagen pro Jahr liegen, dauert der Genesungsprozess bei psychischen Erkrankungen nach Kalkulation der Techniker Krankenkasse durchschnittlich fast 40 Tage. Das Statistische Bundesamt schätzt, dass sich die Gesamtkosten für psychische Erkrankungen (Behandlung, Produktionsausfall, Invalidität, etc.) auf 27 Milliarden Euro pro Jahr summieren.
Die Ursachen für Burn-Out sind vielfältig:
- Chronische Überlastung Die Aufgaben können vom Arbeitnehmer nicht mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen (Zeit, Handlungsspielraum etc.) erledigt werden. Die Folge ist eine wahrgenommene Überlastung großer Teile der Belegschaft.
- Mehrfachbelastung (Multi-Tasking) Viele verschiedene Aufgaben müssen simultan erledigt werden. Die fehlende Priorisierung führt zu einer Mehrfachbelastung. Ein Großteil der Mitarbeiter empfindet einen Mangel an Fokus und in Folge Stress und Frustration.
- Dauerbelastung Die Über- oder Mehrfachbelastung wird zum Dauerzustand. Das Unternehmen operiert dauerhaft an der Leistungsgrenze. Mitarbeiter empfinden zu wenig Möglichkeit zur Strukturierung der Arbeit und der eigenen Regenerierung.
- Ständige Unterbrechung des eigenen Arbeitsprozesses. Abstürzende Computerprogramme, zu beantwortende E-Mails, etc. verursachen ungewollte Arbeitsunterbrechungen. Dies führt zu Konzentrationsverlust, mehr Fehlern und zusätzlichem Stress.
- Unbefriedigende Jobsituation Menschen in Pflegeberufen müssen zu viel Zeit mit Verwaltungsaufgaben verbringen anstatt sich um die Menschen zu kümmern, Bankmitarbeiter können Kunden nicht mehr beraten, sondern sollen ausschließlich verkaufen, Sachbearbeiter arbeiten sinnlos nach ineffizienten Standards, etc.
- Technische Probleme Die Mitarbeiter müssen mit fehlerhaften Computerprogrammen arbeiten, da neue Programme nach Unternehmensdarstellung zu teuer wären oder die letzte Implementierung scheiterte. Die Arbeitnehmer verwenden viel Zeit und Energie auf die Umgehung sowie fortlaufenden Korrektur dieser bugs. Eine enorme und dazu vollkommen unnötige Fehlerquelle, welche unbefriedigende Arbeitsergebnisse und Frust zur Folge hat. [4]
- Hohe Anforderungen an die eigene Arbeit / Perfektionismus Ausgeprägtes Qualitäts- und Verantwortungsbewusstsein des Arbeitnehmers kollidiert mit der Masse-statt-Klasse Mentalität des Arbeitgebers.
- Dauerhaft negatives Arbeitsumfeld Call-Center Agent in einem schlecht geführten Unternehmen nimmt den ganzen Tag lang fast ausschließlich Kundenbeschwerden entgegen. Keine positiven Erlebnisse am Arbeitsplatz.
- Unbefriedigende Unternehmensausrichtung Unendlich viele Arbeitsstunden fließen in die x-te Umstrukturierung des Unternehmens während die eigentliche Arbeit im Sinne von Kundenaufträgen liegen bleiben. Quelle der Frustration.
- Schlechte Unternehmenskommunikation Endlose Meetings ohne Ergebnisse, sinnentleerte Jahresendgespräche, etc.
- Schuldzuweisung Auch bei objektiv schlicht zu hohem Arbeitspensum, vorgegebenen ineffizienten Arbeitsprozessen, etc. wird dem Arbeitnehmer selbst die Schuld für seine mangelnde Produktivität zugeschoben. Statt Unterstützung erfährt er Belehrung: er müsse sich einfach besser organisieren/ seine Arbeit stärker priorisieren, usw.
- Ungelöste Konflikte Unter der politisch korrekten Wohlfühl-Oberfläche liegen zahlreiche ungelöste Probleme die vom Mitarbeiter nicht angesprochen werden dürfen. Diese Verlogenheit empfinden viele Arbeitnehmer als Belastung.
- Sinnverlust Genereller Sinnverlust der individuellen Tätigkeit und sinkende Identifikation mit dem eigenen Job und dem Unternehmen als Ganzes lassen jede Motivation verschwinden.
- Unterforderung Abarbeitung stupider Aufgaben. Keine fachlichen Herausforderungen. Die Folge: Langeweile und Frust.
- Ausgeprägter Ehrgeiz in einem Arbeitsumfeld, welches den Einsatz nicht ausreichend honoriert.
- Fehlendes soziales Netzwerk außerhalb des Arbeitsplatzes.
- Fehlende Anerkennung durch Kollegen und Vorgesetzte.
- Mobbing am Arbeitsplatz.
Stand: Juli 2014
* Tatsächlich hat das Finanzinstitut durchaus ein Burn-Out Problem: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/a-834827.html
[1] http://www.spiegel.de/panorama/leute/skisprung-olympiasieger-sven-hannawald-spricht-im-spiegel-ueber-burnout-a-921016.html
[2] http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/manager-suizide-psychologe-de-vries-ueber-zurich-fall-wauthier-a-920331.html
http://www.welt.de/wirtschaft/article119750051/Was-den-deutschen-Topmanager-in-den-Tod-trieb.html
Der Artikel beschreibt treffend, wie eine Gemengelage aus Druck und Makro-Management einen Menschen zermürben können. Unrühmliche Rolle von Consultants aus dem Hause McKinsey. Personalabbau ist nicht immer die Antwort. Es muss Luft zum atmen bleiben.
[3] http://www.zeit.de/karriere/beruf/2012-11/arbeitswelt-streitkultur
[4] http://www.wiwo.de/erfolg/beruf/technikprobleme-wir-koennen-so-nicht-arbeiten/10154488.html
Tags: Definition Burn-Out Syndrom ICD10 Code Z73 Erschöpfung Depression ausgebrannt Burn Out körperliche Symptome Ursachen Vorbeugen Prävention Behandlung Selbsthilfe Therapie Reha Sanatorium Kur beantragen psychosomatische Klinik Fehltage Krankschreibung Arbeitsunfähigkeit Journalisten Lehrer Amt Behörde öffentlicher Dienst Belastung Arbeit Anforderungen Stress Probleme Konflikte Mobbing Sinnverlust Suizid Selbstmord