Die Lebenserwartung in Deutschland steigt weiter an und damit nimmt das Thema Pflege an Bedeutung zu. Seit Jahren wächst die Zahl der Pflegebedürftigen, also der Menschen, die wegen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten dauerhafter Hilfe bedürfen. Im Jahr 2021 waren in Deutschland bereits über 4 Millionen Menschen pflegebedürftig.
Die Sicherstellung adäquater Pflege stellt für viele Familien eine enorme Belastung dar. Pflege in Deutschland ist teuer und viele können sich die professionelle Versorgung des Angehörigen in einem guten Pflegeheim nicht leisten. Reduziert ein Familienmitglied die Stunden der Erwerbsarbeit oder gibt die bezahlte Tätigkeit ganz auf um die Versorgung im häuslichen Umfeld selbst zu übernehmen, so sorgt dies für unmittelbare finanzielle Einbußen. Das Familienmitglied verliert zudem Rentenpunkte und bekommt daher später selbst eine geringere Rente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung.
Eine von dem Pflegewissenschaftler Prof. Dr. Dr. Andreas Büscher im Auftrag des VdK im Jahr 2021 durchgeführte Befragung kam zu dem Ergebnis, dass ein Drittel der Pflegenden fortwährend finanzielle Sorgen haben. Über die Hälfte der Befragten gab zudem an, Leistungen wie Pflegedienst, Tages- oder Kurzzeitpflege nicht in Anspruch zu nehmen, weil die Zuzahlungen zu hoch sind. [1]
Abgesehen vom Problem der Finanzierbarkeit sind außerdem insbesondere in ländlichen Regionen viele Pflegeleistungen schlicht überhaupt nicht verfügbar. Der theoretisch bestehende gesetzliche Anspruch auf Unterstützung hilft den pflegenden Angehörigen in solchen Regionen Deutschlands wenig. In Anbetracht des Mangels an qualifizierten Pflegekräften in Deutschland, dürfte sich dieses Problem in Zukunft noch verschärfen.
Manchmal ist schlicht keine der in Deutschland verfügbaren Option für die Familie leistbar. Eine Lösung kann dann die Pflege im Ausland sein. Statt in Deutschland für mindere Pflege in trister Atmosphäre zu zahlen, entschließen sich daher manche Familien den pflegebedürftigen Menschen im Ausland betreuen zu lassen.
Moralisch verwerflich?
Aber ist es nicht moralisch verwerflich ein pflegebedürftiges Familienmitglied ins Ausland zu senden? Ist es wirklich eine Frage des Geldes, oder will sich die Familie nur der lästigen Oma entledigen? Werden die Pflegebedürftigen nicht nur abgeschoben, um Ruhe zu haben, und sich vor der Verpflichtung zu drücken?
Jede Familien- und Pflegesituation ist individuell und oft sehr komplex. Viele Faktoren spielen eine Rolle und ein pauschales Urteil daher vollkommen unmöglich. Fakt ist, wenn die Pflege des Angehörigen die Familie finanziell ruiniert, zur Vernachlässigung der minderjährigen Kinder oder zu (psychischer) Gewalt aufgrund der körperlichen und emotionalen Überforderung führt, gewinnt keiner.
Laut einer repräsentativen Umfrage der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers zur Zukunft der Pflege, kann sich jeder zweite Befragte vorstellen, Angehörige auch im Ausland pflegen zu lassen, wenn dadurch Geld gespart werden kann. Ein Viertel allerdings nur, „wenn die Entfernung nicht zu groß ist, und ich meinen Angehörigen regelmäßig besuchen kann.“ [2] Wirtschaftlich ist es allemal sinnvoller die pflegebedürftige Person in ein Land mit niedrigeren Lebenshaltungskosten zu bringen.
Zudem ist das moralische Argument angesichts der Situation der Pflege in Deutschland ohnehin scheinheilig. Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung schätzt, dass in Deutschland in zehn Prozent der Haushalte mit einer zu pflegenden Person osteuropäische Pflegekräfte die Pflege übernehmen. Diese Pflegekräfte sind wegen der Arbeit in Deutschland, nicht weil sie das Land so lieben. Sie sind oft entwurzelt, fern ihrer Familie und allein in einem ihnen fremden Land. Sie sind oft extrem einsam – und ihre Kinder in ihrer Heimat sind es auch. [3] Den Care Drain zu verstärken indem man kostengünstige Pflegekräfte aus osteuropäischen Ländern nach Deutschland importiert ist vollkommen in Ordnung; die Oma zur Pflege nach Thailand zu bringen hingegen verwerflich?
Lebensqualität statt nur Langlebigkeit
Bei der Pflege im Ausland bestehen natürlich meist enorme Kommunikationsprobleme aufgrund der unterschiedlichen Sprache. Der Umgang ist im Ausland oft vielleicht auch nicht ganz so „professionell“ wie in Deutschland, dafür aber oft schlicht menschlicher. Und natürlich ist selbst in Thailand die Pflege eines Fremden letztendlich nur ein Job und Herzlichkeit daher nicht immer garantiert.
Allerdings sorgen oft allein schon die patientenorientierte Betreuung und der Wegfall der stressverursachenden Pflege im Minutentakt für eine Reduzierung der zuvor vermeintlich unverzichtbaren Medikamente. Zudem bietet die neue Umgebung eben auch Stimulation durch neue Eindrücke - gut insbesondere bei Demenzerkrankungen.
Stand: Oktober 2022
[1] https://www.vdk.de/deutschland/pages/presse/pressemitteilung/85582/vdk-studien_armutsfalle_naechstenpflege_vdk_fordert_lohn_fuer_pflegende_angehoerige
[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article153780842/Pflege-im-Ausland-Oma-Export-wird-beliebter.html
[3] https://www.spiegel.de/politik/ausland/rumaenien-die-einsamen-kinder-rumaenischer-arbeitsmigranten-a-1273465.html
Tags: Haushalt Hilfe zur Pflege zuhause Bedürftige Kosten Zuschuss gesetzliche Krankenkassen Träger Verträge Heime Nächstenpflege Oma Export Kapitalismus Globalisierung Gerontologischer Kolonialismus Senioren Deutsche Rentner Ausland Auswanderer General Konsulat Lebensbestätigung Thailand Pattaya Hua Hin Alzheimerzentrum Baan Kamlangchay Chiang Mai Martin Woodtli
Die Sicherstellung adäquater Pflege stellt für viele Familien eine enorme Belastung dar. Pflege in Deutschland ist teuer und viele können sich die professionelle Versorgung des Angehörigen in einem guten Pflegeheim nicht leisten. Reduziert ein Familienmitglied die Stunden der Erwerbsarbeit oder gibt die bezahlte Tätigkeit ganz auf um die Versorgung im häuslichen Umfeld selbst zu übernehmen, so sorgt dies für unmittelbare finanzielle Einbußen. Das Familienmitglied verliert zudem Rentenpunkte und bekommt daher später selbst eine geringere Rente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung.
Eine von dem Pflegewissenschaftler Prof. Dr. Dr. Andreas Büscher im Auftrag des VdK im Jahr 2021 durchgeführte Befragung kam zu dem Ergebnis, dass ein Drittel der Pflegenden fortwährend finanzielle Sorgen haben. Über die Hälfte der Befragten gab zudem an, Leistungen wie Pflegedienst, Tages- oder Kurzzeitpflege nicht in Anspruch zu nehmen, weil die Zuzahlungen zu hoch sind. [1]
Abgesehen vom Problem der Finanzierbarkeit sind außerdem insbesondere in ländlichen Regionen viele Pflegeleistungen schlicht überhaupt nicht verfügbar. Der theoretisch bestehende gesetzliche Anspruch auf Unterstützung hilft den pflegenden Angehörigen in solchen Regionen Deutschlands wenig. In Anbetracht des Mangels an qualifizierten Pflegekräften in Deutschland, dürfte sich dieses Problem in Zukunft noch verschärfen.
Manchmal ist schlicht keine der in Deutschland verfügbaren Option für die Familie leistbar. Eine Lösung kann dann die Pflege im Ausland sein. Statt in Deutschland für mindere Pflege in trister Atmosphäre zu zahlen, entschließen sich daher manche Familien den pflegebedürftigen Menschen im Ausland betreuen zu lassen.
Moralisch verwerflich?
Aber ist es nicht moralisch verwerflich ein pflegebedürftiges Familienmitglied ins Ausland zu senden? Ist es wirklich eine Frage des Geldes, oder will sich die Familie nur der lästigen Oma entledigen? Werden die Pflegebedürftigen nicht nur abgeschoben, um Ruhe zu haben, und sich vor der Verpflichtung zu drücken?
Jede Familien- und Pflegesituation ist individuell und oft sehr komplex. Viele Faktoren spielen eine Rolle und ein pauschales Urteil daher vollkommen unmöglich. Fakt ist, wenn die Pflege des Angehörigen die Familie finanziell ruiniert, zur Vernachlässigung der minderjährigen Kinder oder zu (psychischer) Gewalt aufgrund der körperlichen und emotionalen Überforderung führt, gewinnt keiner.
Laut einer repräsentativen Umfrage der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers zur Zukunft der Pflege, kann sich jeder zweite Befragte vorstellen, Angehörige auch im Ausland pflegen zu lassen, wenn dadurch Geld gespart werden kann. Ein Viertel allerdings nur, „wenn die Entfernung nicht zu groß ist, und ich meinen Angehörigen regelmäßig besuchen kann.“ [2] Wirtschaftlich ist es allemal sinnvoller die pflegebedürftige Person in ein Land mit niedrigeren Lebenshaltungskosten zu bringen.
Zudem ist das moralische Argument angesichts der Situation der Pflege in Deutschland ohnehin scheinheilig. Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung schätzt, dass in Deutschland in zehn Prozent der Haushalte mit einer zu pflegenden Person osteuropäische Pflegekräfte die Pflege übernehmen. Diese Pflegekräfte sind wegen der Arbeit in Deutschland, nicht weil sie das Land so lieben. Sie sind oft entwurzelt, fern ihrer Familie und allein in einem ihnen fremden Land. Sie sind oft extrem einsam – und ihre Kinder in ihrer Heimat sind es auch. [3] Den Care Drain zu verstärken indem man kostengünstige Pflegekräfte aus osteuropäischen Ländern nach Deutschland importiert ist vollkommen in Ordnung; die Oma zur Pflege nach Thailand zu bringen hingegen verwerflich?
Lebensqualität statt nur Langlebigkeit
Bei der Pflege im Ausland bestehen natürlich meist enorme Kommunikationsprobleme aufgrund der unterschiedlichen Sprache. Der Umgang ist im Ausland oft vielleicht auch nicht ganz so „professionell“ wie in Deutschland, dafür aber oft schlicht menschlicher. Und natürlich ist selbst in Thailand die Pflege eines Fremden letztendlich nur ein Job und Herzlichkeit daher nicht immer garantiert.
Allerdings sorgen oft allein schon die patientenorientierte Betreuung und der Wegfall der stressverursachenden Pflege im Minutentakt für eine Reduzierung der zuvor vermeintlich unverzichtbaren Medikamente. Zudem bietet die neue Umgebung eben auch Stimulation durch neue Eindrücke - gut insbesondere bei Demenzerkrankungen.
Stand: Oktober 2022
[1] https://www.vdk.de/deutschland/pages/presse/pressemitteilung/85582/vdk-studien_armutsfalle_naechstenpflege_vdk_fordert_lohn_fuer_pflegende_angehoerige
[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article153780842/Pflege-im-Ausland-Oma-Export-wird-beliebter.html
[3] https://www.spiegel.de/politik/ausland/rumaenien-die-einsamen-kinder-rumaenischer-arbeitsmigranten-a-1273465.html
Tags: Haushalt Hilfe zur Pflege zuhause Bedürftige Kosten Zuschuss gesetzliche Krankenkassen Träger Verträge Heime Nächstenpflege Oma Export Kapitalismus Globalisierung Gerontologischer Kolonialismus Senioren Deutsche Rentner Ausland Auswanderer General Konsulat Lebensbestätigung Thailand Pattaya Hua Hin Alzheimerzentrum Baan Kamlangchay Chiang Mai Martin Woodtli