Bei intersexuellen Menschen ist genetisch (Geschlechtschromosomen), anatomisch (Geschlechtsorgane) und/ oder hormonell (Mengenverhältnisse Geschlechtshormone) keine eindeutige Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht möglich.
Die Einordnung und Benennung der biologischen Geschlechtervariationen ist noch immer strittig. So konzentriert sich z.B. die Einordnung der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems vor allem auf die körperlichen Abweichungen und eine medizinisch definierte angenommene Störung. Diese enge Betrachtung wird der Realität nicht gerecht. Entsprechend lehnen viele betroffene Menschen den eine Krankheit implizierenden medizinischen Begriff der Störung ab.
Intersexuelle Menschen führen in diesem Zusammenhang aus, dass die Vorstellung von genau zwei eindeutig unterscheidbaren Geschlechtern falsch sei. Ihrer Ansicht nach ist nicht nur das soziologische Geschlecht (Gender), sondern auch das biologische Geschlecht kein binärer Zustand, sondern eine variable Position auf einem Spektrum. Sie sind der Ansicht, dass die zwanghafte Festlegung auf eines der beiden biologischen Geschlechter zu physischen und psychischen Beeinträchtigungen führen könne. Denn oft gibt es keine zwingende medizinische Notwendigkeit oder auch nur ein Bedürfnis der Geschlechtsangleichung bei den Betroffenen selbst. Der Wunsch einer eindeutigen Festlegung wird vielmehr durch sozialen Druck des Umfeldes erzeugt.
Fehlende soziale Akzeptanz
Die allgemein fehlende soziale Akzeptanz von Geschlechtsvarianten zeigt sich in vielen Alltagssituationen wie z.B. bei Formularen für Mitgliedschaften oder bei Behörden welche bei der Geschlechtsangabe lediglich weiblich oder männlich als Optionen anbieten.
In Deutschland kann seit der Neuregelung des Personenstandsgesetzes im Jahr 2009 auf Verlangen auf Angabe des Geschlechts in der Geburtsurkunde verzichtet werden. Und seit dem Jahr 2013 können auch die Standesämter entweder männlich oder weiblich oder gar kein Geschlecht eintragen.
Wenn beim Geschlecht „fehlende Angabe“ eingetragen wird, ist das einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge jedoch unzureichend. Da es sich bei Intersexualität nicht um Geschlechtslosigkeit, sondern vielmehr um eine Geschlechtsvariation handelt, ist der Nicht-Eintrag des Geschlechtes keine rechtlich ausreichende Option. Intersexuelle Menschen haben ihrem Empfinden nach ein drittes Geschlecht, das neben dem männlichen und weiblichen besteht. Deshalb müsse es für intersexuelle Menschen auch die Möglichkeit geben, dass für sie ein drittes Geschlecht im Register eingetragen wird.
Gemäß der Auffassung der Verfassungsrichter schütze das Persönlichkeitsrecht auch die geschlechtliche Identität. Das Geschlecht sei für die eigene Identität von herausragender Bedeutung und nehme eine Schlüsselposition im Selbstverständnis jedes Menschen ein. Geschützt werden müsse auch die Identität derjenigen, die sich weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte in seinem Beschluss folglich fest, dass die im Jahr 2017 geltende Gesetzeslage das Persönlichkeitsrecht von intersexuellen Menschen verletzt. Bis spätestens Ende 2018 muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass für intersexuelle Menschen eine dritte Möglichkeit geschaffen wird, das Geschlecht eintragen zu lassen. [1]
Alternativ hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, in Zukunft generell auf geschlechtsbezogene Einträge in den Registern zu verzichten.
Die Dimension der Intersexualität in Deutschland
In Deutschland weisen schätzungsweise 8 000 bis 10 000 Personen ausgeprägte Abweichungen von der typischen männlichen bzw. weiblichen Geschlechtsentwicklung auf. Damit kommen pro Jahr etwa 150 Kinder mit uneindeutigem Genitale zur Welt. In etwa einem Viertel der Fälle ist DSD mit weiteren Fehlbildungen/Erkrankungen assoziiert. Im weiteren Sinne kommen Personen mit numerischen oder strukturellen Aberrationen der Chromosomen hinzu, wobei das Klinefelter-Syndrom etwa ein bis zwei von 1000 männlichen Neugeborenen und das Turner-Syndrom etwa eins von 2000 bis 2700 weiblichen Neugeborenen in Deutschland betrifft. Die übrigen Formen von DSD sind deutlich seltener. [2]
Stand: November 2017
[1] Pressemitteilung https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-095.html
Az. 1 BvR 2019/16 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.html
[2] http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/BAeK-Stn_DSD.pdf (Seite 4, oberer Absatz)
Tags: Disorder Difference of Sex Development DSD Androgeninsensitivität CAIS Androgenitalen Syndrom AGS Geschlecht Chromosomen Paar Turner Klinefelter Syndrom doppeltgeschlechtlich männliche und weibliche Geschlechtsausprägung Androgynie Pseudo Hermaphroditismus Schein Zwitter Intersexualität drittes Geschlecht Trans Sexualität Identität Gender Transvestismus Geschlechterdualismus Heteronormativität Psychoneurologische Intersexualität Geschlechtsorientierung Deutscher Ethikrat Personenstandsgesetz § 59 Absatz 2 PStG Bundesärztekammer BÄK
Die Einordnung und Benennung der biologischen Geschlechtervariationen ist noch immer strittig. So konzentriert sich z.B. die Einordnung der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems vor allem auf die körperlichen Abweichungen und eine medizinisch definierte angenommene Störung. Diese enge Betrachtung wird der Realität nicht gerecht. Entsprechend lehnen viele betroffene Menschen den eine Krankheit implizierenden medizinischen Begriff der Störung ab.
Intersexuelle Menschen führen in diesem Zusammenhang aus, dass die Vorstellung von genau zwei eindeutig unterscheidbaren Geschlechtern falsch sei. Ihrer Ansicht nach ist nicht nur das soziologische Geschlecht (Gender), sondern auch das biologische Geschlecht kein binärer Zustand, sondern eine variable Position auf einem Spektrum. Sie sind der Ansicht, dass die zwanghafte Festlegung auf eines der beiden biologischen Geschlechter zu physischen und psychischen Beeinträchtigungen führen könne. Denn oft gibt es keine zwingende medizinische Notwendigkeit oder auch nur ein Bedürfnis der Geschlechtsangleichung bei den Betroffenen selbst. Der Wunsch einer eindeutigen Festlegung wird vielmehr durch sozialen Druck des Umfeldes erzeugt.
Fehlende soziale Akzeptanz
Die allgemein fehlende soziale Akzeptanz von Geschlechtsvarianten zeigt sich in vielen Alltagssituationen wie z.B. bei Formularen für Mitgliedschaften oder bei Behörden welche bei der Geschlechtsangabe lediglich weiblich oder männlich als Optionen anbieten.
In Deutschland kann seit der Neuregelung des Personenstandsgesetzes im Jahr 2009 auf Verlangen auf Angabe des Geschlechts in der Geburtsurkunde verzichtet werden. Und seit dem Jahr 2013 können auch die Standesämter entweder männlich oder weiblich oder gar kein Geschlecht eintragen.
Wenn beim Geschlecht „fehlende Angabe“ eingetragen wird, ist das einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge jedoch unzureichend. Da es sich bei Intersexualität nicht um Geschlechtslosigkeit, sondern vielmehr um eine Geschlechtsvariation handelt, ist der Nicht-Eintrag des Geschlechtes keine rechtlich ausreichende Option. Intersexuelle Menschen haben ihrem Empfinden nach ein drittes Geschlecht, das neben dem männlichen und weiblichen besteht. Deshalb müsse es für intersexuelle Menschen auch die Möglichkeit geben, dass für sie ein drittes Geschlecht im Register eingetragen wird.
Gemäß der Auffassung der Verfassungsrichter schütze das Persönlichkeitsrecht auch die geschlechtliche Identität. Das Geschlecht sei für die eigene Identität von herausragender Bedeutung und nehme eine Schlüsselposition im Selbstverständnis jedes Menschen ein. Geschützt werden müsse auch die Identität derjenigen, die sich weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte in seinem Beschluss folglich fest, dass die im Jahr 2017 geltende Gesetzeslage das Persönlichkeitsrecht von intersexuellen Menschen verletzt. Bis spätestens Ende 2018 muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass für intersexuelle Menschen eine dritte Möglichkeit geschaffen wird, das Geschlecht eintragen zu lassen. [1]
Alternativ hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, in Zukunft generell auf geschlechtsbezogene Einträge in den Registern zu verzichten.
Die Dimension der Intersexualität in Deutschland
In Deutschland weisen schätzungsweise 8 000 bis 10 000 Personen ausgeprägte Abweichungen von der typischen männlichen bzw. weiblichen Geschlechtsentwicklung auf. Damit kommen pro Jahr etwa 150 Kinder mit uneindeutigem Genitale zur Welt. In etwa einem Viertel der Fälle ist DSD mit weiteren Fehlbildungen/Erkrankungen assoziiert. Im weiteren Sinne kommen Personen mit numerischen oder strukturellen Aberrationen der Chromosomen hinzu, wobei das Klinefelter-Syndrom etwa ein bis zwei von 1000 männlichen Neugeborenen und das Turner-Syndrom etwa eins von 2000 bis 2700 weiblichen Neugeborenen in Deutschland betrifft. Die übrigen Formen von DSD sind deutlich seltener. [2]
Stand: November 2017
[1] Pressemitteilung https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-095.html
Az. 1 BvR 2019/16 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.html
[2] http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/BAeK-Stn_DSD.pdf (Seite 4, oberer Absatz)
Tags: Disorder Difference of Sex Development DSD Androgeninsensitivität CAIS Androgenitalen Syndrom AGS Geschlecht Chromosomen Paar Turner Klinefelter Syndrom doppeltgeschlechtlich männliche und weibliche Geschlechtsausprägung Androgynie Pseudo Hermaphroditismus Schein Zwitter Intersexualität drittes Geschlecht Trans Sexualität Identität Gender Transvestismus Geschlechterdualismus Heteronormativität Psychoneurologische Intersexualität Geschlechtsorientierung Deutscher Ethikrat Personenstandsgesetz § 59 Absatz 2 PStG Bundesärztekammer BÄK