Freeganismus ist eine politisch und/ oder ethisch motivierte Lebenshaltung mit der Absicht, den negativen Einfluss des Einzelnen auf die Umwelt, die Tierwelt und das menschliche Leben durch größtmögliche Teilnahmeverweigerung an der kapitalistischen Volkswirtschaft zu verringern. Es ist die extremste Form des Minimalismus.
Freeganismus existiert in verschieden Ausprägungen. Kernelemente des Lebenswandels von Freeganern sind:
Im Gegensatz zu Menschen, die aufgrund wirtschaftlicher Not von Spenden anderer zu leben, führen Freeganer bewusst ein Leben an oder unter der Armutsgrenze. Häufig ist die Entscheidung in einer radikal antikapitalistischen Einstellung begründet, welche an der Konsum- und Wegwerfgesellschaft westlicher Ausprägung eine grundsätzliche Kritik übt. Aufgrund ihres Bildungsstandes und Sozialisation sind Freeganer entgegen ihres praktizierten materiell prekären Lebenswandels mehrheitlich eher der Mittelschicht zuzuordnen und rekrutieren sich überwiegend aus dem linksliberalen bis linksradikalen akademischen Milieu. [1]
Containern
Ein zentraler Aspekt der freeganen Lebensweise ist Containern, also die Mitnahme weggeworfener Lebensmittel aus Abfalltonnen. Das Containern erfolgt in der Regel bei Abfallbehältern von Supermärkten, welche Lebensmittel oft aus rein optischen Gründen wie Druckstellen bei Obst oder wegen baldigem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr zum Verkauf anbieten wollen. Die vom Handel aussortierten Lebensmittel sind meist durchaus ohne wesentliche Geschmacks- und Qualitätseinbußen und ohne erhöhtes gesundheitliches Risiko noch eine gewisse Zeit genießbar.
In Deutschland ist Abfall, der in entsprechenden Behältern auf privaten Grundstücken gesammelt und den kommunalen und privaten Städtereinigungsbetrieben zur Entsorgung bereitgestellt wird, nach dem Abfallrecht bis zur Abholung Eigentum des Wegwerfers oder Grundstückseigentümers. Das zugrundeliegende Umweltrecht verfolgt hierbei jedoch eigentlich nur den Zweck, Pflichten von Erzeuger und Entsorger von Abfällen zu regeln und dadurch z.B. Pflichtverletzung nebst entstehender Haftung vor allem bei Umweltschäden zuordnen zu können. Die bloße Abfallentnahme durch Containern ist an sich in Deutschland also kein Straftatbestand, wenn im konkreten Fall zu erkennen ist, dass der Abfallerzeuger kein ernsthaftes Interesse am Einbehalt der Sache haben kann. Eine Anzeige wegen Diebstahls kann in solchen Fällen sogar als unzulässiger Rechtsmissbrauch nach § 226 BGB gewertet werden, da es offensichtlich nur darum geht, jemand anderem Schaden zuzufügen.
Allerdings können bei der Rettung von Lebensmitteln aus verschlossenen Containern auf privaten Grundstücken durchaus andere Straftatbestände erfüllt sein. Wer fest installierte Hindernisse überwindet, also z.B. über Zäune klettert, und sich somit unberechtigt Zutritt zu eingefriedeten Grundstücken beschafft, begeht ggf. Hausfriedensbruch. Und wer Schlösser oder Türen aufbricht um an den Container zu kommen, begeht offensichtlich Sachbeschädigung. Bei letztgenanntem entsteht ein realer Schaden und auch das hehre Ziel der Lebensmittelrettung rechtfertigt keine Sachbeschädigung. Es ist eine Straftat und keine legitime Form des Protestes.
Milde Urteile
Da beim Containern meist kein Sachschaden entsteht, wird mehrheitlich auch kein Strafantrag gestellt und kein Strafverfahren eingeleitet. Wird tatsächlich Strafantrag gestellt, wird das Verfahren meist wegen Geringfügigkeit gegen eine Auflage eingestellt. So wurde im Jahr 2004 z.B. eine beim Containern erwischte Kölnerin wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall angeklagt. Das Verfahren wurde allerdings gegen die Auflage von 60 Stunden gemeinnützige Arbeit eingestellt. Und Anfang des Jahres 2019 sprach das Amtsgericht Fürstenfeldbruck in einem Fall lediglich eine Verwarnung aus und verurteilte die Lebensmittelretterinnen zu einer Geldbuße von 225 Euro. Diese ist aber nur zu zahlen, wenn die Studentinnen innerhalb der zweijährigen Bewährungszeit weitere Straftaten begingen. [2]
Gesellschaftlicher Wandel
Die von unter anderen auch von Freeganer geschaffene mediale Aufmerksamkeit für Themen wie Lebensmittelverschwendung hat letztendlich dazu beigetragen, dass der Gesetzgeber in einzelnen Ländern Handlungsbedarf sah und die Rahmenbedingungen neu definiert hat. So beschloss z.B. die französische Nationalversammlung bereits im Jahr 2015, dass nicht verkaufte Lebensmittel des Einzelhandels an Wohlfahrtsorganisationen oder Landwirtschaft gespendet werden müssen.
Nutznießer
Freeganer sind trotz ihrer Bemühungen noch immer aktiver Teil des kapitalistischen Konsumsystems welches sie anprangern. Sie verweigern letztendlich nicht den Konsum und praktizieren auch keine umweltschonendere oder ethischere Form der Produktion der von ihnen benötigten Dinge. Sie schnorren sich vielmehr ihr Leben zusammen indem sie von anderen erwirtschaftete Güter gefragt oder ungefragt ebenfalls nutzen. Es ist kein Zufall, dass Freeganer meist im urbanen Umfeld zu finden sind, welches ihnen die benötigte -aber von anderen errichtete und gewartete- Infrastruktur zu Verfügung stellt.
Stand: Januar 2019
[1] https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00049180701639174
[2] http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/fuerstenfeldbruck-in-bayern-studentinnen-wegen-containerns-verurteilt-a-1250844.html
Tags: Freeganismus Freeganer Schnorrer Zecken Sachbeschädigung Einbruch Diebstahl Müll Taucher Retter Containern dumpstern dumpster diven diving foodsharing Too Good To Go App Zu gut für die Tonne entsorgte gerettete Nahrungsmittel Lebensmittel Verschwendung Essensretter SirPlus Raphael Fellmer Berlin Tafel Spende Wohnungslos GeOb Kollektiv Volxküche Umsonst Läden ökonomie Schenkwirtschaft Sharing is caring Überfluss Konsum Gesellschaft Wohlstand Pfand Flaschen sammeln
Freeganismus existiert in verschieden Ausprägungen. Kernelemente des Lebenswandels von Freeganern sind:
- Besetzung von leer stehenden Häusern zu eigenen Wohnzwecken
- Mitnahme weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern
- Ausübung einer bezahlten Arbeit nur auf absolut notwendigem Niveau
Im Gegensatz zu Menschen, die aufgrund wirtschaftlicher Not von Spenden anderer zu leben, führen Freeganer bewusst ein Leben an oder unter der Armutsgrenze. Häufig ist die Entscheidung in einer radikal antikapitalistischen Einstellung begründet, welche an der Konsum- und Wegwerfgesellschaft westlicher Ausprägung eine grundsätzliche Kritik übt. Aufgrund ihres Bildungsstandes und Sozialisation sind Freeganer entgegen ihres praktizierten materiell prekären Lebenswandels mehrheitlich eher der Mittelschicht zuzuordnen und rekrutieren sich überwiegend aus dem linksliberalen bis linksradikalen akademischen Milieu. [1]
Containern
Ein zentraler Aspekt der freeganen Lebensweise ist Containern, also die Mitnahme weggeworfener Lebensmittel aus Abfalltonnen. Das Containern erfolgt in der Regel bei Abfallbehältern von Supermärkten, welche Lebensmittel oft aus rein optischen Gründen wie Druckstellen bei Obst oder wegen baldigem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr zum Verkauf anbieten wollen. Die vom Handel aussortierten Lebensmittel sind meist durchaus ohne wesentliche Geschmacks- und Qualitätseinbußen und ohne erhöhtes gesundheitliches Risiko noch eine gewisse Zeit genießbar.
In Deutschland ist Abfall, der in entsprechenden Behältern auf privaten Grundstücken gesammelt und den kommunalen und privaten Städtereinigungsbetrieben zur Entsorgung bereitgestellt wird, nach dem Abfallrecht bis zur Abholung Eigentum des Wegwerfers oder Grundstückseigentümers. Das zugrundeliegende Umweltrecht verfolgt hierbei jedoch eigentlich nur den Zweck, Pflichten von Erzeuger und Entsorger von Abfällen zu regeln und dadurch z.B. Pflichtverletzung nebst entstehender Haftung vor allem bei Umweltschäden zuordnen zu können. Die bloße Abfallentnahme durch Containern ist an sich in Deutschland also kein Straftatbestand, wenn im konkreten Fall zu erkennen ist, dass der Abfallerzeuger kein ernsthaftes Interesse am Einbehalt der Sache haben kann. Eine Anzeige wegen Diebstahls kann in solchen Fällen sogar als unzulässiger Rechtsmissbrauch nach § 226 BGB gewertet werden, da es offensichtlich nur darum geht, jemand anderem Schaden zuzufügen.
Allerdings können bei der Rettung von Lebensmitteln aus verschlossenen Containern auf privaten Grundstücken durchaus andere Straftatbestände erfüllt sein. Wer fest installierte Hindernisse überwindet, also z.B. über Zäune klettert, und sich somit unberechtigt Zutritt zu eingefriedeten Grundstücken beschafft, begeht ggf. Hausfriedensbruch. Und wer Schlösser oder Türen aufbricht um an den Container zu kommen, begeht offensichtlich Sachbeschädigung. Bei letztgenanntem entsteht ein realer Schaden und auch das hehre Ziel der Lebensmittelrettung rechtfertigt keine Sachbeschädigung. Es ist eine Straftat und keine legitime Form des Protestes.
Milde Urteile
Da beim Containern meist kein Sachschaden entsteht, wird mehrheitlich auch kein Strafantrag gestellt und kein Strafverfahren eingeleitet. Wird tatsächlich Strafantrag gestellt, wird das Verfahren meist wegen Geringfügigkeit gegen eine Auflage eingestellt. So wurde im Jahr 2004 z.B. eine beim Containern erwischte Kölnerin wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall angeklagt. Das Verfahren wurde allerdings gegen die Auflage von 60 Stunden gemeinnützige Arbeit eingestellt. Und Anfang des Jahres 2019 sprach das Amtsgericht Fürstenfeldbruck in einem Fall lediglich eine Verwarnung aus und verurteilte die Lebensmittelretterinnen zu einer Geldbuße von 225 Euro. Diese ist aber nur zu zahlen, wenn die Studentinnen innerhalb der zweijährigen Bewährungszeit weitere Straftaten begingen. [2]
Gesellschaftlicher Wandel
Die von unter anderen auch von Freeganer geschaffene mediale Aufmerksamkeit für Themen wie Lebensmittelverschwendung hat letztendlich dazu beigetragen, dass der Gesetzgeber in einzelnen Ländern Handlungsbedarf sah und die Rahmenbedingungen neu definiert hat. So beschloss z.B. die französische Nationalversammlung bereits im Jahr 2015, dass nicht verkaufte Lebensmittel des Einzelhandels an Wohlfahrtsorganisationen oder Landwirtschaft gespendet werden müssen.
Nutznießer
Freeganer sind trotz ihrer Bemühungen noch immer aktiver Teil des kapitalistischen Konsumsystems welches sie anprangern. Sie verweigern letztendlich nicht den Konsum und praktizieren auch keine umweltschonendere oder ethischere Form der Produktion der von ihnen benötigten Dinge. Sie schnorren sich vielmehr ihr Leben zusammen indem sie von anderen erwirtschaftete Güter gefragt oder ungefragt ebenfalls nutzen. Es ist kein Zufall, dass Freeganer meist im urbanen Umfeld zu finden sind, welches ihnen die benötigte -aber von anderen errichtete und gewartete- Infrastruktur zu Verfügung stellt.
Stand: Januar 2019
[1] https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00049180701639174
[2] http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/fuerstenfeldbruck-in-bayern-studentinnen-wegen-containerns-verurteilt-a-1250844.html
Tags: Freeganismus Freeganer Schnorrer Zecken Sachbeschädigung Einbruch Diebstahl Müll Taucher Retter Containern dumpstern dumpster diven diving foodsharing Too Good To Go App Zu gut für die Tonne entsorgte gerettete Nahrungsmittel Lebensmittel Verschwendung Essensretter SirPlus Raphael Fellmer Berlin Tafel Spende Wohnungslos GeOb Kollektiv Volxküche Umsonst Läden ökonomie Schenkwirtschaft Sharing is caring Überfluss Konsum Gesellschaft Wohlstand Pfand Flaschen sammeln