"Die Deutschen sparen sich zu Tode." Interview mit Herrn Peter Bofinger, geführt von Stefan Kaiser.
Veröffentlicht von Spiegel Online am 05.12.2012.
Die anhaltenden Niedrigzinsen werden zur Bedrohung für die Altersvorsorge. Ob Lebensversicherung oder Sparbrief - die meisten Anlagen werfen kaum mehr etwas ab. Die Deutschen sparen einfach zu viel, meint der Ökonom Peter Bofinger - und plädiert für ein Comeback der staatlichen Rentenversicherung.
SPIEGEL ONLINE: Herr Bofinger, seit Beginn der Finanzkrise sind die Zinsen im Dauertief. Lebensversicherungen oder andere private Vorsorgemodelle werfen immer weniger ab. Viele Menschen in Deutschland fürchten um ihre Altersvorsorge. Zu Recht?
Bofinger: Ja. Die Menschen in Deutschland suchen bevorzugt sichere Anlagen für ihre Altersvorsorge: Lebensversicherungen, Bausparverträge, Sparbriefe. Die meisten dieser Anlagen haben eins gemeinsam, sie hängen letztendlich vom Angebot sicherer Staatsanleihen ab - und dieses Angebot ist in den vergangenen Jahren dramatisch geschrumpft.
Der Begriff „sichere Staatsanleihen“ ist bei den Schuldenstaaten der westlichen Welt ein Oxymoron. Ein Schuldner, der seine Verbindlichkeiten seit über 40 Jahren kontinuierlich ausweitet, nie nennenswerte Beträge tilgt und alte Schulden immer durch neue Schulden ablöst, einen sicheren Kreditnehmer zu nennen ist ein schlechter Witz.
SPIEGEL ONLINE: Durch die Staatsschuldenkrise gibt es weniger solvente Schuldner.
Bofinger: Das wird zumindest so wahrgenommen. Anleihen von Ländern wie Spanien, Italien oder Portugal gelten heute nicht mehr als sichere Investments. Das engt das Angebot deutlich ein. Die Nachfrage nach sicheren Anlagen ist aber gleichzeitig sehr hoch. Das bedeutet: Der Preis dieser Papiere steigt und die Verzinsung sinkt. Das sehen wir ja gerade bei Bundesanleihen. Der deutsche Staat kann sich Geld quasi zum Nulltarif besorgen.
Diese Situation ist durch die –von Herrn Bofinger befürwortete- quantitative Lockerung/ Niedrigzinspolitik der Notenbanken dieser Welt bewusst herbeigeführt worden. Nur so bleiben die Zinszahlungen für die hohe Verschuldung Deutschlands ohne größere Einschnitte finanzierbar.
SPIEGEL ONLINE: Wird das zum Dauerzustand oder werden die Zinsen wieder steigen, wenn die Krise vorbei ist?
Bofinger: Am geringen Angebot sicherer Anlagen wird sich wohl nicht so viel ändern. Die Krise hat das Grundvertrauen zerstört, wonach Staatsanleihen per se sicher sind. Und dieses Vertrauen wird so schnell nicht wieder zurückkommen. In Ländern wie Italien oder Spanien wird der Schuldenstand hoch bleiben, selbst wenn die Wirtschaft sich wieder erholt.
Das ist in Deutschland nicht anders. Mit Ausnahme des Jahres 2001 hat der Bund die Schuldsumme in den vergangenen Jahrzehnten jedes Jahr ausgeweitet. Der Bruttoschuldenstand in % des BIP ist auch in Deutschland bei mittlerweile über 80%.
SPIEGEL ONLINE: Wenn die Zinsen niedrig sind, sollen Unternehmen und Verbraucher eigentlich mehr Geld investieren und konsumieren. So sagt es zumindest die ökonomische Theorie. Das funktioniert derzeit aber nur bedingt. Die Menschen sparen einfach weiter.
Bofinger: Die Deutschen sparen sich zu Tode - und bekommen immer weniger dafür. Wenn jemand selbstständig ist und eine Million Euro fürs Alter zurückgelegt hat, dann hat er bisher gedacht, er bekommt vier Prozent Zinsen darauf, also 40.000 Euro im Jahr. Jetzt stellt er fest: In zehn Jahren sind es vielleicht nur noch 15.000 Euro. Und was macht er? Er spart noch mehr. Das ist ein Teufelskreis.
Wenn die Zukunft ungewiss erscheint und das Vertrauen in positive Veränderung fehlt, wird halt etwas für schlechte Zeiten zurück gelegt. Da ist das Volk schlauer als der Staat...
Wer eine Million Euro für die Altersvorsorge hat, kauft keine wertlosen Bundestitel, sondern stellt sich ein langfristig ausgerichtetes Portfolio aus Aktien, Rohstoffen, etc. zusammen und kauft Immobilien durch die er dauerhaft Mieteinnahmen generieren kann.
SPIEGEL ONLINE: Was könnte die Politik tun, um den Menschen wieder eine vernünftige Altersvorsorge zu bieten?
Bofinger: Eine Möglichkeit wäre, dafür zu sorgen, dass es wieder mehr sichere Anleihen gibt. Das wäre zum Beispiel durch eine gemeinsame europäische Haftung möglich - ein Schuldentilgungspakt, wie wir ihn im Sachverständigenrat vorgeschlagen haben. Damit würde man einen großen Pool sicherer Anleihen schaffen, die höher verzinst wären als Bundesanleihen. Der Anlagenotstand würde erheblich reduziert. Eine andere Möglichkeit wäre die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung.
Man könnte auch einfach die Niedrigzinspolitik der Notenbanken beenden, anstatt Deutschland für die Schulden anderer Länder haften zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Bofinger: Es war ein Fehler, dass wir in Deutschland jahrelang so massiv auf den Ausbau der privaten Altersvorsorge gesetzt haben. Heute haben wir dadurch ein fundamentales Problem. Einerseits fördern wir die private Vorsorge, andererseits darf durch die Schuldenbremse das Angebot an sicheren Staatsanleihen nicht mehr ausgeweitet werden. Besser wäre es deshalb, die gesetzliche Rente zu stärken. Denn die basiert auf einem Umlageverfahren. Das Geld muss nicht an den Finanzmärkten angelegt werden, wie bei der privaten Vorsorge.
Das Umlageverfahren birgt ebenfalls Ausfallrisiken, denn auch Staaten können pleite gehen, Wäre Gesamtdeutschland nicht für die Ansprüche der ehemaligen DDR-Bürger eingetreten, bekämen diese heute gar keine Rente….
SPIEGEL ONLINE: Wie ließe sich das machen?
Bofinger: Zum einen darf bei der Betriebsrente die sogenannte Entgeltumwandlung nicht mehr sozialabgabenfrei sein. Es ist absurd, dass man die betriebliche Altersvorsorge fördert, indem man die gesetzliche Rente schwächt. Da muss man ran. Ein zweiter Punkt wäre, alle Selbstständigen, die nicht einer berufsständischen Alterssicherung angehören, in die gesetzliche Rentenversicherung zu zwingen. Wir haben fast zweieinhalb Millionen Solo-Selbständige, die bisher keiner Versicherungspflicht unterliegen. Drittens könnte man überlegen, ob man nicht auch die Mini-Jobs rentenversicherungspflichtig macht.
Dies würde nicht nur den Kreis der Beitragszahler, sondern auch die Zahl der Anspruchsberechtigten erhöhen und löst das Problem daher nicht.
SPIEGEL ONLINE: Sollten die Rentenbeiträge generell erhöht werden?
Bofinger: Im Augenblick gibt es keine Notwendigkeit. Mittelfristig sollte man darüber aber schon nachdenken.
Mehr als ein Viertel der Ausgaben der GRV werden durch den allgemeinen sowie zusätzlichen Bundeszuschuss finanziert. Inwieweit dies allein zur Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen dient oder nicht tatsächlich eine Quersubventionierung aus Steuergeldern darstellt, lässt sich kaum noch nachvollziehen.
SPIEGEL ONLINE: Warum sollten die Menschen ausgerechnet dem Staat vertrauen, der seine Rentenversprechen der vergangenen Jahrzehnte immer wieder gekippt hat?
Bofinger: Teilweise war das natürlich notwendig wegen der demografischen Entwicklung. Aber man müsste die Rente trotzdem sicherer machen. Vertrauen könnte man durch eine Rentenverfassung schaffen, indem man den Eckpunkten der gesetzlichen Rentenversicherung Verfassungsrang gibt. Die Menschen könnten sicher sein, dass ihre Ansprüche nicht irgendwann vom Bundestag abgesenkt werden, nur weil die Regierung gerade Geld braucht.
Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/interview-mit-peter-bofinger-die-deutschen-sparen-sich-zu-tode-a-871166.html
Tags: Volkswirtschaftslehre wirtschaftsweise uni würzburg prof. dr. peter bofinger interview
Veröffentlicht von Spiegel Online am 05.12.2012.
Die anhaltenden Niedrigzinsen werden zur Bedrohung für die Altersvorsorge. Ob Lebensversicherung oder Sparbrief - die meisten Anlagen werfen kaum mehr etwas ab. Die Deutschen sparen einfach zu viel, meint der Ökonom Peter Bofinger - und plädiert für ein Comeback der staatlichen Rentenversicherung.
SPIEGEL ONLINE: Herr Bofinger, seit Beginn der Finanzkrise sind die Zinsen im Dauertief. Lebensversicherungen oder andere private Vorsorgemodelle werfen immer weniger ab. Viele Menschen in Deutschland fürchten um ihre Altersvorsorge. Zu Recht?
Bofinger: Ja. Die Menschen in Deutschland suchen bevorzugt sichere Anlagen für ihre Altersvorsorge: Lebensversicherungen, Bausparverträge, Sparbriefe. Die meisten dieser Anlagen haben eins gemeinsam, sie hängen letztendlich vom Angebot sicherer Staatsanleihen ab - und dieses Angebot ist in den vergangenen Jahren dramatisch geschrumpft.
Der Begriff „sichere Staatsanleihen“ ist bei den Schuldenstaaten der westlichen Welt ein Oxymoron. Ein Schuldner, der seine Verbindlichkeiten seit über 40 Jahren kontinuierlich ausweitet, nie nennenswerte Beträge tilgt und alte Schulden immer durch neue Schulden ablöst, einen sicheren Kreditnehmer zu nennen ist ein schlechter Witz.
SPIEGEL ONLINE: Durch die Staatsschuldenkrise gibt es weniger solvente Schuldner.
Bofinger: Das wird zumindest so wahrgenommen. Anleihen von Ländern wie Spanien, Italien oder Portugal gelten heute nicht mehr als sichere Investments. Das engt das Angebot deutlich ein. Die Nachfrage nach sicheren Anlagen ist aber gleichzeitig sehr hoch. Das bedeutet: Der Preis dieser Papiere steigt und die Verzinsung sinkt. Das sehen wir ja gerade bei Bundesanleihen. Der deutsche Staat kann sich Geld quasi zum Nulltarif besorgen.
Diese Situation ist durch die –von Herrn Bofinger befürwortete- quantitative Lockerung/ Niedrigzinspolitik der Notenbanken dieser Welt bewusst herbeigeführt worden. Nur so bleiben die Zinszahlungen für die hohe Verschuldung Deutschlands ohne größere Einschnitte finanzierbar.
SPIEGEL ONLINE: Wird das zum Dauerzustand oder werden die Zinsen wieder steigen, wenn die Krise vorbei ist?
Bofinger: Am geringen Angebot sicherer Anlagen wird sich wohl nicht so viel ändern. Die Krise hat das Grundvertrauen zerstört, wonach Staatsanleihen per se sicher sind. Und dieses Vertrauen wird so schnell nicht wieder zurückkommen. In Ländern wie Italien oder Spanien wird der Schuldenstand hoch bleiben, selbst wenn die Wirtschaft sich wieder erholt.
Das ist in Deutschland nicht anders. Mit Ausnahme des Jahres 2001 hat der Bund die Schuldsumme in den vergangenen Jahrzehnten jedes Jahr ausgeweitet. Der Bruttoschuldenstand in % des BIP ist auch in Deutschland bei mittlerweile über 80%.
SPIEGEL ONLINE: Wenn die Zinsen niedrig sind, sollen Unternehmen und Verbraucher eigentlich mehr Geld investieren und konsumieren. So sagt es zumindest die ökonomische Theorie. Das funktioniert derzeit aber nur bedingt. Die Menschen sparen einfach weiter.
Bofinger: Die Deutschen sparen sich zu Tode - und bekommen immer weniger dafür. Wenn jemand selbstständig ist und eine Million Euro fürs Alter zurückgelegt hat, dann hat er bisher gedacht, er bekommt vier Prozent Zinsen darauf, also 40.000 Euro im Jahr. Jetzt stellt er fest: In zehn Jahren sind es vielleicht nur noch 15.000 Euro. Und was macht er? Er spart noch mehr. Das ist ein Teufelskreis.
Wenn die Zukunft ungewiss erscheint und das Vertrauen in positive Veränderung fehlt, wird halt etwas für schlechte Zeiten zurück gelegt. Da ist das Volk schlauer als der Staat...
Wer eine Million Euro für die Altersvorsorge hat, kauft keine wertlosen Bundestitel, sondern stellt sich ein langfristig ausgerichtetes Portfolio aus Aktien, Rohstoffen, etc. zusammen und kauft Immobilien durch die er dauerhaft Mieteinnahmen generieren kann.
SPIEGEL ONLINE: Was könnte die Politik tun, um den Menschen wieder eine vernünftige Altersvorsorge zu bieten?
Bofinger: Eine Möglichkeit wäre, dafür zu sorgen, dass es wieder mehr sichere Anleihen gibt. Das wäre zum Beispiel durch eine gemeinsame europäische Haftung möglich - ein Schuldentilgungspakt, wie wir ihn im Sachverständigenrat vorgeschlagen haben. Damit würde man einen großen Pool sicherer Anleihen schaffen, die höher verzinst wären als Bundesanleihen. Der Anlagenotstand würde erheblich reduziert. Eine andere Möglichkeit wäre die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung.
Man könnte auch einfach die Niedrigzinspolitik der Notenbanken beenden, anstatt Deutschland für die Schulden anderer Länder haften zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Bofinger: Es war ein Fehler, dass wir in Deutschland jahrelang so massiv auf den Ausbau der privaten Altersvorsorge gesetzt haben. Heute haben wir dadurch ein fundamentales Problem. Einerseits fördern wir die private Vorsorge, andererseits darf durch die Schuldenbremse das Angebot an sicheren Staatsanleihen nicht mehr ausgeweitet werden. Besser wäre es deshalb, die gesetzliche Rente zu stärken. Denn die basiert auf einem Umlageverfahren. Das Geld muss nicht an den Finanzmärkten angelegt werden, wie bei der privaten Vorsorge.
Das Umlageverfahren birgt ebenfalls Ausfallrisiken, denn auch Staaten können pleite gehen, Wäre Gesamtdeutschland nicht für die Ansprüche der ehemaligen DDR-Bürger eingetreten, bekämen diese heute gar keine Rente….
SPIEGEL ONLINE: Wie ließe sich das machen?
Bofinger: Zum einen darf bei der Betriebsrente die sogenannte Entgeltumwandlung nicht mehr sozialabgabenfrei sein. Es ist absurd, dass man die betriebliche Altersvorsorge fördert, indem man die gesetzliche Rente schwächt. Da muss man ran. Ein zweiter Punkt wäre, alle Selbstständigen, die nicht einer berufsständischen Alterssicherung angehören, in die gesetzliche Rentenversicherung zu zwingen. Wir haben fast zweieinhalb Millionen Solo-Selbständige, die bisher keiner Versicherungspflicht unterliegen. Drittens könnte man überlegen, ob man nicht auch die Mini-Jobs rentenversicherungspflichtig macht.
Dies würde nicht nur den Kreis der Beitragszahler, sondern auch die Zahl der Anspruchsberechtigten erhöhen und löst das Problem daher nicht.
SPIEGEL ONLINE: Sollten die Rentenbeiträge generell erhöht werden?
Bofinger: Im Augenblick gibt es keine Notwendigkeit. Mittelfristig sollte man darüber aber schon nachdenken.
Mehr als ein Viertel der Ausgaben der GRV werden durch den allgemeinen sowie zusätzlichen Bundeszuschuss finanziert. Inwieweit dies allein zur Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen dient oder nicht tatsächlich eine Quersubventionierung aus Steuergeldern darstellt, lässt sich kaum noch nachvollziehen.
SPIEGEL ONLINE: Warum sollten die Menschen ausgerechnet dem Staat vertrauen, der seine Rentenversprechen der vergangenen Jahrzehnte immer wieder gekippt hat?
Bofinger: Teilweise war das natürlich notwendig wegen der demografischen Entwicklung. Aber man müsste die Rente trotzdem sicherer machen. Vertrauen könnte man durch eine Rentenverfassung schaffen, indem man den Eckpunkten der gesetzlichen Rentenversicherung Verfassungsrang gibt. Die Menschen könnten sicher sein, dass ihre Ansprüche nicht irgendwann vom Bundestag abgesenkt werden, nur weil die Regierung gerade Geld braucht.
Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/interview-mit-peter-bofinger-die-deutschen-sparen-sich-zu-tode-a-871166.html
Tags: Volkswirtschaftslehre wirtschaftsweise uni würzburg prof. dr. peter bofinger interview